Früher Therapiebeginn

MS rechtzeitig und effektiv ausbremsen.

Die MS kann immer aktiv sein – auch wenn Betroffene keine Symptome spüren. Denn das Voranschreiten der Erkrankung, die sogenannte Progression, findet maßgeblich im Verborgenen statt. Die permanenten Entzündungen schädigen die Neuronen und beeinträchtigen nach und nach wichtige Funktionen im Gehirn. Nicht jede Schädigung ist gleich als Schub spürbar.

Schnell reagieren
lohnt sich

Obwohl sich in der Forschung viel getan hat, kann MS noch immer nicht geheilt werden. Aber die gute Nachricht ist: Die Erkrankung kann heute sehr gut behandelt werden – vor allem bei einem frühen Therapiebeginn mit effektiven Medikamenten.

Eisberg

Was zwischen den Schüben passiert

Bei den meisten Betroffenen kommt es zu Schüben, d. h. zum plötzlichen oder verstärkten Auftreten von Symptomen, die nach 24 Stunden oder einigen Wochen teilweise oder wieder ganz verschwinden. Die Pausen zwischen diesen Schüben können Monate oder Jahre andauern, in denen du deine MS vielleicht gar nicht wahrnimmst (siehe „Eisberg“-Abbildung). Aber: Auch wenn du keine Symptome spürst, kann deine MS unbemerkt weiter aktiv sein und Entzündungen und Schäden an den Nerven verursachen. Die Krankheit kann also unabhängig von Schüben voranschreiten. Das bedeutet, dass es auch ohne Schübe zu Läsionen und dem Verlust von Nervenzellen kommen kann. Diese sogenannte stille Progression kann bereits zu Beginn der Erkrankung auftreten.

Unser Gehirn kann
einiges kompensieren

Das Gehirn ist ein erstaunliches Organ. Es hat die Fähigkeit, seine Funktionen aufrechtzuerhalten und Schäden zu kompensieren – selbst wenn es zum Verlust von Nervenzellen kommt. Die Fachwelt nennt das „neurologische Reserve“. Diese Reserve steht nur bis zu einem gewissen Punkt zur Verfügung. Dann setzt die Progression ein und die MS schreitet unwiederbringlich fort.

Gehirnreserve

Gehirnreserve
entspricht der Menge an physisch vorhandenem Hirngewebe, die genetisch bzw. erblich bedingt ist. Auch für gesunde erwachsene Menschen ist es normal, im Laufe ihres Lebens Hirnvolumen zu verlieren.

Kognitive Reserve
ist die Fähigkeit des Gehirns, komplexe Aufgaben zu lösen und Beeinträchtigungen auszugleichen. Die Höhe kognitiver Reserven ist individuell unterschiedlich. Je höher sie ausfällt, desto besser können kognitive Fähigkeiten trotz Läsionen und Hirnvolumenverlust erhalten bleiben.

Wie schätzt du deine kognitiven Fähigkeiten ein? Hier findest du Übungen, mit denen du deine Gehirnleistung in verschiedenen Bereichen verbessern kannst.

Mann mit Hemd
Stock-Foto. Mit Model gestellt.

Keine Zeit verlieren –
langfristig profitieren

Wenn die neurologische Reserve bei MS-Erkrankten erschöpft ist, setzt die Progression ein. Körperliche und geistige Beeinträchtigungen nehmen zu und lassen sich oft nicht mehr rückgängig machen. Deshalb sollte schon im frühen Stadium der MS effektiv therapiert werden, um die Läsionen und Entzündungen im Gehirn so gering wie möglich zu halten. Ziel muss es sein, die Gesundheit bzw. die Produktivität deines Gehirns und damit deine Lebensqualität bestmöglich zu erhalten. Um das Risiko für Schübe zu verringern, werden sogenannte verlaufsmodifizierende Therapien eingesetzt. Diese wirken je nach Wirkstoff immunmodulierend oder immunsuppressiv. Die Effekte vieler MS-Therapien sind meist größer, je früher sie im Krankheitsverlauf eingesetzt werden.

Früh therapieren –
Hirnsubstanz erhalten

In Deutschland werden beim Einsatz von verlaufsmodifizierenden Therapien im Großen und Ganzen zwei Behandlungsansätze unterschieden:

Eskalationsstrategie

Bei diesem Ansatz wird nach der Diagnose zunächst mit schwächer wirksamen Medikamenten begonnen, um im Bedarfsfall bestehender oder wiederkehrender Krankheitsaktivität stärker wirksame Medikamente einzusetzen, also zu „eskalieren“

Frühe, effektive Therapie

Dieses moderne Behandlungskonzept wird oftmals als „Hit hard and early“ bezeichnet. Bereits nach der Diagnose soll mit stärker wirksamen Medikamenten die Krankheitsaktivität gestoppt werden, um langfristige Schäden zu verhindern.

Es gibt Menschen, bei denen die MS auch ohne frühen Einsatz von höher wirksamen Medikamenten einen milden Verlauf hat. Es gibt jedoch auch Studiendaten, die zeigen, dass die meisten Patient:innen langfristig von einer „Hit hard and early“-Behandlungsstrategie profitieren können.

Immunmodulation und
Immunsuppression:
Was ist der
Unterschied?

Immunsuppressiva unterdrücken die normale Funktion des Immunsystems. Immunmodulatoren hingegen sind Medikamente, die je nach Wirkmechanismus die Funktion verantwortlicher Immunzellen verändern oder unterdrücken oder gezielt Bestandteile der körpereigenen Abwehr hemmen können. Somit bleibt die Immunabwehr gegen Krankheitserreger weitgehend erhalten.

Eine frühe, effektive Therapie
erzielt bessere Ergebnisse

Verglichen wurden MS-Registerdaten aus Dänemark mit
2.161 Patient:innen und Schweden mit 2.700 Patient:innen.

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Beim Start: Keine körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen. Nach 6 Jahren: Jede:r 4. dänische Patient:in entwickelte unter der Eskalationsstrategie eine körperliche oder geistige Beeinträchtigung.

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Beim Start: Keine körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen. Nach 6 Jahren: Nur jede:schwedische Patient:in entwickelte unter vorwiegendem Einsatz früher, effektiver Therapien eine körperliche geistige Beeinträchtigung.

Drei Gründe für eine frühe, effektive Therapie

Jeder Schub kann zu einer Symptomverschlechterung und zu bleibenden Beeinträchtigungen führen.

Da die meisten Nervenschädigungen zu Beginn der Erkrankung auftreten, ist es wichtig, sichtbare und unsichtbare Krankheitsaktivitäten möglichst früh mit einer wirksamen Therapie einzudämmen und so lange wie möglich aufzuhalten.

Indem Symptome wie Müdigkeit sowie kognitive und körperliche Beeinträchtigungen reduziert werden, kann die Lebensqualität verbessert werden.

Mann am Handy
Stock-Foto. Mit Model gestellt.

Aufmerksam bleiben. Besser entscheiden.

Es gibt inzwischen eine Vielzahl gut wirksamer Therapien als Tablette, Kapseln, Infusion oder Injektion. Welche Therapie für wen am besten geeignet ist, muss individuell betrachtet und in der ärztlichen Praxis besprochen werden. Die Entscheidung hängt von diversen Faktoren ab:

  • Welche Art der Einnahme bzw. Anwendung passt am besten in den Alltag: jeden Tag eine Tablette/Kapsel oder alle paar Wochen eine Infusion?
  • Besteht ein Kinderwunsch? Nicht alle Wirkstoffe können in der Schwangerschaft eingenommen werden.
  • Wie alt ist die oder der Betroffene? Gibt es noch andere Erkrankungen?
  • Welche möglichen Nebenwirkungen können unter der Therapie auftreten?
  • Welche Hinweise zur Krankheitsaktivität liegen zur Diagnose bzw. durch die regelmäßigen Verlaufskontrollen vor?

Sprich mit deiner Neurologin oder deinem Neurologen über deine Optionen und Erwartungen, um gemeinsam die für dich richtige Entscheidung treffen und dein Leben mit MS aktiv mitgestalten zu können.

Vertrauen ist gut. Kontrolle ist besser.

Regelmäßige MRTs (Magnetresonanztomografien) sowie Untersuchungen der körperlichen und kognitiven Leistungsfähigkeit sind ein wichtiger Indikator, um ein unbemerktes Fortschreiten der MS rechtzeitig zu erkennen. Vertrauen ist gut.

Quellennachweise

Caliendo D et al. Mult Scler Relat Disord. 2024;81:105135.

De Angelis F et al. BMJ. 2018;363:k4674.

Deutsche Hirnstiftung. https://hirnstiftung.org/2021/09/multiplesklerosemagazin- 1/.
(aufgerufen am 12.08.2024)

Deutsche Hirnstiftung. Leitlinie Multiple Sklerose für Patientinnen und Patienten. https://hirnstiftung.org/wp-content/uploads/2022/06/DHS_ Patientenleitlinie_Mulitple-Sklerose_Stand_Maerz-2022.pdf.
(aufgerufen am 12.08.2024)

Giovannoni G et al. Mult Scler Rel Dis. 2016;9:5–48.

Hemmer B et al. Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose, Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen und MOG-IgG-assoziierten Erkrankungen, S2k-Leitlinie 2023. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.). Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. www.dgn.org/leitlinien.
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Laffaldano P et al. Ther Adv Neurol Disord. 2021;14:1–10.

NIK e. V. Das Netzwerk Autoimmunerkrankter. Unterschied zwischen Immunmodulation und Immunsuppression. www.nik-ev.de.
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Spelman T et al. JAMA Neurol. 2021;78(10):1197–1204.